DESOLATION – EIN MYSTERIENSPIEL
„Der Tod ist ein Irrtum“ (Heiner Müller)
"The night is filled with shadows, the years are filled with early doom
I’ve been conjuring up all these long dead souls from their crumblin’ tombs“
Bob Dylan: Rollin’ and Tumblin’ (2006)
Auf erneute Einladung der Akademie der Künste, Berlin konzipiert die Bühnenbildklasse der UdK in Kooperation mit den Studiengängen Regie der Ernst Busch- und Hans Eisler-Schule ein interdisziplinäres Theaterprojekt:
Nachdem „GERMANIA. Eine Geisteraustreibung“ ein Parcours quer durch das Gebäude am Pariser Platz beschrieb, sich quasi aus der kontaminierten Erde des Speerschen Geheimlabors bis zu den NSA Abhörschüsseln in Dachnachbarschaft der Akademie hinauf arbeitete, fahren unsere Künstler dieses Mal tief hinab in den modernen "Orkus" der Akademie der Künste, in die drei Etagen unterirdisch gelegene „Black Box“. Ein Ort, wie prädestiniert für die “Stimmen aus der Unterwelt“, die Bob Dylan in dem von ihm verfassten Drehbuch „Masked and Anonymous“ (2003) herauf beschwört - das zum Ausgangsmaterial für unser künftiges Kooperationsprojekt werden soll.
Bob Dylan, Literaturnobelpreis-Träger und Mitglied der Akademie der Künste, bezeichnete die Szenarien seiner (Song)-Texte einmal selbst als "Mysterienspiele von der Art, wie der junge Shakesspeare sie sah“.
Inzwischen haben Kulturhistoriker den Hintergrund von Dylans Texten mithilfe philologischer, mikrohistorischer und volkskundlicher Methoden untersucht und dabei eine Fülle von Genres, bestehend aus Kindheitserinnerungen, Zitaten, Filmen, kollektiven Träumen, politischer Prophetie, Volksfrömmigkeit, historischen Kriminalfällen, Geistergeschichten sowie vielen anderen vergessenen kulturellen Fundstücken zu Tage gefördert. Es entsteht das Bild eines "Rattenfängers der Geister", bei dem der Sänger als „spiritisches Medium“ auftritt, das nicht mehr als er selbst spricht, sondern mit den Stimmen der Tradition und der Toten.
Mit „Masked and Anonymous“ schließlich entwirft Dylan ein Mysterienspiel in der Tradition mittelalterlicher Totentänze: In einer durch globale Krisen und Korruption erschütterten Diktatur wird ein buntes Figuren-Karussell aus Gaunern und Gauklern, Schaustellern, Medien- und Kirchenvertretern, Politikern, Jokern und „zweigesichtigen Monstern“ dem sich mit zunehmender Wucht entladenden Sturm des „Weltengerichts“ ausgesetzt.
Der Literaturwissenschaftler Heinrich Detering konstatiert die mit dem Inhalt kontrastierenden Mittel, die Dylan auffährt, wie folgt:
„Es ist die karnevalistische Vitalität des theatralen Spiels selbst, das sich dem Sterben widersetzt. Karnevalisierung bestimmt - und unterminiert - das vertrackte Ineinander von Mafiageschichte und Königsdrama, Parabel und Politsatire, Musical, Mysterienspiel und Shakespeare-Panoptikum. Dem Welttheater, dessen hier zitierte Ausdrucksformen ja immerhin von Aischylos über das Mittelalter bis zu Brecht reichen entspricht dabei die Weltmusik des Soundtracks. […] Mag sein, dass der Tod sie alle holt, diese Könige und Bettler – aber er tut es im musikalischen Spiel, tanzend zu Dylans Musik."
Dylans Musik und Szenen werden im neuen Akademieprojekt der Bühnenbildklasse Anlass für divergierende theatralische Neukonzeptionen sein.
Im kreativen Vorgang eines „Fremdmaterial - Überschreibungsprozesses“, eine bearbeite Mixtur aus wahren und erfundenen Informationen, ähnlich wie Dylans bei Plato, Shakespeare bis zu Allen Ginsberg aufgefundenen Verwertungen, ist es die selbstgesetzte Aufgabe der Studierenden, die beschworen-verschollenen, aber auch die gegenwärtigen Geister zu entdecken und auf ihre Weise neu zu beleben.
Das Studienprojekt in der „Blackbox“ der Akademie der Künste wird also durch die Offenheit des Ausgangsmaterials und durch die Aufforderung zur künstlerischen Fortschreibung zu einer „Neukonzeption“ im Sinne Dylans.
Wie in den vorangehenden Projekten des Studiengangs, wie bei "Heer"(nach Wagners 'Ring der Nibelungen'), "Germania" und "Fantomoj" werden sich künstlerische Teams bilden, deren visuelle, musikalischen und darstellerischen Entwürfe zu einem kollektiven szenischen Gebilde werden, das durch eine Gesamtinszenierung im originären Raum neue künstlerische Strategien und Perspektiven junger Theaterschaffender zeigt.
Premiere und Vorstellungen: 5.–7. Oktober 2017 um 19 Uhr, sowie zusätzlich am 7. 10. um 17 Uhr, Akademie der Künste Berlin, Pariser Platz 4
Regie führen Marius Schötz, Sanghwa Park, Anna Weber; Bühne und Kostüme sind von Orli Baruch, Iris Christidi, Tatjana Reeh und Tristan Weber.
Eine Produktion der Universität der Künste Berlin und der Akademie der Künste Berlin.
Eine Zusammenarbeit Studierender des Studiengangs Bühnenbild der Universität der Künste Berlin, der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Berlin, der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin.